Jobcenter – Versuch einer Anthropologie der modernen Berufswelt
Der Sohn übernimmt das Geschäft? Die Tochter heiratet? So einfach ist es schon lange nicht mehr! In Zeiten von Fachkräftemangel, Demographie- und Klimawandel weiß der Berufseinsteiger von heute oftmals nicht mehr, wo es einmal hingehen soll. Nicht jeder kann Popstar oder Plagiator*in werden. Deshalb haben wir es uns zum Ziel gesetzt, Alternativen aufzuzeigen. Wir haben uns mit Vertretern der verschiedenen Berufsgruppen unterhalten, vom Fitnesstrainer bis hin zum Friseur. Bei uns kommen sie unzensiert, ungeschönt und nicht ganz ernst zu nehmend zu Wort. Ja! so ist es und nicht anders!
Heute: Der Unternehmensberater
An einem Tag entwickle ich eine Markteinführungsstrategie für Thrombosestrümpfe, am nächsten helfe ich einem Telekommunikationsriesen aus den roten Zahlen und am Nachmittag gehe ich mit Albert Bourla und Lea-Sophie Cramer zum Lunch. Wir müssen noch einmal über ein paar spritzige Produktpaletten sprechen. 22 Uhr, ich habe den Laden gerade verlassen, ruft mein Chef mich ins Büro zurück: McDonalds braucht eine neue Strategie, die Leute essen nichts mehr, es geht um die Wurst, äh, den Burger, Team-Meeting um 22.30 Uhr! Meine Freundin flucht. Ich eile, ich springe, und wenn mein Chef während der Sitzung von seinem Chef gerufen wird, dann ist die Besprechung zu Ende. Klare Hierarchien können aber auch sehr hilfreich sein. Es ist immer klar, wer der Sklave und wer der Sklaventreiber ist, nicht so wie bei diesen kreativen Berufen, wie zum Beispiel „Krimiautor“ oder „Mediendesigner“. Ich stehe den ganzen Tag unter Strom, permanent, arbeite, wenn es mal gut kommt (!), hochkonzentrierte 16 Stunden, ohne Pause – am Tag, nicht in der Woche! Ich verdiene auch mehr als 400 Euro im Monat, zugegeben. Aber manchmal bekomme ich nur drei Stunden Schlaf. Da entwickelt man langfristig schon ein gewisses Defizit. Am Freitagabend fühle ich mich wie ausgekotzt, schlafe zwanzig Stunden und werde dann doch wieder vom Boss angeklingelt. Ob sich das mit modernen Vorstellungen artgerechter Menschenhaltung deckt, bezweifle ich. Die Gemeinsamkeiten zwischen einer Nutte und einem Unternehmensberater sind monströs: Bei beiden verdient der Chef ein Vielfaches. Naja, irgendwer muss ja seinen neuen Panamera finanzieren. Sonst hätte sich seine Frau scheiden lassen, und das wollen wir doch nicht. Dass ich seit zweieinhalb Jahren auf mein Privatleben verzichte, und dass ich mit 28 zielsicher auf meinen ersten Herzinfarkt zusteuere, brauche ich nicht zu betonen. Gut, wenn ich will, kann ich es mir ohne mit der Wimper zu zucken leisten, drei Monate unbezahlten Urlaub zu nehmen und in der Zeit mit dem Jeep quer durch Afrika zu kreuzen, ohne deshalb mein Penthouse in Berlin Mitte an einen Reisebus indischer Java-Programmierer untervermieten zu müssen. Und ich trage Armani-Jeans, obwohl es die von Aldi auch tun würden. Das ist der Vorteil. Aber man zahlt einen hohen Preis. Ja! so ist es und nicht anders! Zu meinen Bekannten sage ich immer: nicht umsonst ist der Top of the Jobs im Alphabet der Berufe direkt zwischen den Stichworten „Untergebener“ und „Untertagebauer“ angesiedelt. Wenn ich meinen M4 habe, steige ich aus. Ganz sicher. Geld ist doch nicht alles!
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