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AutorenbildSara Tröster Klemm

Immer an der frischen Luft. Heute: Der Straßenfeger


Jobcenter – Versuch einer Anthropologie der modernen Berufswelt

Der Sohn übernimmt das Geschäft? Die Tochter heiratet? So einfach ist es schon lange nicht mehr! In Zeiten von Fachkräftemangel, Demographie- und Klimawandel weiß der Berufseinsteiger von heute oftmals nicht mehr, wo es einmal hingehen soll. Nicht jeder kann Popstar oder Plagiator*in werden. Deshalb haben wir es uns zum Ziel gesetzt, Alternativen aufzuzeigen. Wir haben uns mit Vertretern der verschiedenen Berufsgruppen unterhalten, vom Fitnesstrainer bis hin zum Friseur. Bei uns kommen sie unzensiert, ungeschönt und nicht ganz ernst zu nehmend zu Wort. Ja! so ist es und nicht anders!Immer an der frischen Luft


Heute: Der Straßenfeger

Bis ich an den Job des Straßenfegers rangekommen bin, war es ein sehr langer und harter Weg. Per aspera ad astra. Nach dem Abitur habe ich meinen Eltern zuliebe erst einmal Medizin studiert. Da ich aber kein Blut sehen konnte, habe ich mich der Germanistik, Philosophie und Soziologie zugewandt. Ein paar Semester später erkannte ich jedoch meinen Irrtum. Kurz vor der Zwischenprüfung wechselte ich die Fachrichtung. Fortan studierte ich Ägyptologie, Kunstgeschichte und BWL, wegen des Praxisbezuges. Das Studium scheiterte nur aufgrund meiner mangelnden Koptisch- und Sumerischkenntnisse, teilweise lag es aber auch daran, dass ich Mühe mit der Entzifferung der Hieroglyphen und beim Einprägen des Hebräischen hatte. Inzwischen hatte ich das 19. Hochschulsemester absolviert, man drohte mir mit Exmatrikulation, wenn ich nicht innerhalb von vier Semestern eine Magisterarbeit ablieferte. Schnell orientierte ich mich neu und versuchte es mit Neuer Geschichte. Wenn ich mich auf das 20. Jahrhundert konzentrieren würde, so meine Überzeugung, dürften die Sprachkenntnisse kein Problem darstellen. Nun, wer hätte gedacht, dass ein Student, selbst wenn er sich allein auf die Ära Adenauer konzentrieren wollte, dennoch das Große Latinum benötigen würde?! Das ging mir nun wirklich zu weit. Das ist doch absurd! Cicero hat sich ja schon mit keiner Silbe zur Weimarer Republik geäußert, warum nun also Konrad ... Gefallen lassen musste ich mir das nicht. Ich ging zum Prüfungsamt und ließ mich exmatrikulieren. Ja! So und nicht anders war es! Auf dem Heimweg lief ich an einem Elektriker vorbei: Azubi gesucht! Ich betrat den Laden. Das war meine Chance! Der Meister war etwas irritiert. Aufgrund des bevorstehenden Fachkräftemangels und seiner Erfahrung, dass Studienabbrecher niemals eine Ausbildung abbrechen, nahm er mich trotz meines stolzen Alters von 37 Jahren mit Kusshand. Überall schon hatte er händeringend nach einem Azubi gesucht, im Stadtpark, im Kino, auf Messen, vergeblich – nun also ich. Später stellte sich heraus, dass ich am glücklichsten in urban angehauchter Natur bin. Ich tauschte den Lötkolben gegen einen Besen und bin fortan täglich viel an der frischen Luft. Gut, die Aufstiegsmöglichkeiten sind begrenzt. Aber: Kleine Kinder winken mir zu, ich spüre den sanften Sommerregen und die Wintersonne auf meiner Haut, ich bin braungebrannt und habe genug Bewegung. Straßenfeger – ganz ehrlich, das ist meiner Erfahrung nach der Traumjob!





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