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AutorenbildSara Tröster Klemm

Die Bruchbude als romantisches Refugium. Heute: Der Immobilienmakler


Jobcenter – Versuch einer Anthropologie der modernen Berufswelt

Der Sohn übernimmt das Geschäft? Die Tochter heiratet? So einfach ist es schon lange nicht mehr! In Zeiten von Fachkräftemangel, Demographie- und Klimawandel weiß der Berufseinsteiger von heute oftmals nicht mehr, wo es einmal hingehen soll. Nicht jeder kann Popstar oder Plagiator*in werden. Deshalb haben wir es uns zum Ziel gesetzt, Alternativen aufzuzeigen. Wir haben uns mit Vertretern der verschiedenen Berufsgruppen unterhalten, vom Fitnesstrainer bis hin zum Friseur. Bei uns kommen sie unzensiert, ungeschönt und nicht ganz ernst zu nehmend zu Wort. Ja! so ist es und nicht anders!





Heute: Der Immobilienmakler


Spiegelglatte Granittreppen ohne Geländer? Ein Balkon mit Blick in den Himmel, jedoch nur senkrecht nach oben, weil die Sicht nach vorne durch eine stumpfe Sichtbetonwand versperrt ist? Eine komplette Bruchbude mit marodem Dach? Für einen Immobilienmakler wie mich sind das alles keine realen Probleme oder gar Verkaufskiller, sondern lediglich Fragen der Formulierung! Mein Name ist Helmut von und zu Humbugsmühl, und meine Aufgabe ist es, den Kunden mit Menschenkenntnis auf dem rechten Fuß zu erwischen! Aus dem Balkon ohne Aussicht wird die „Loggia mit Privatsphäre“, die Bruchbude mausert sich in meinen heißgeliebten Exposés zum „romantischen Traumhaus mit Potenzial“.


Tagein, tagaus laufe ich mit Leuten über Baustellen und durch Rohbauten, um ihre Augen zum Funkeln zu bringen. So viel muss ich dafür gar nicht tun, weder muss ich etwas über die Funktion der automatischen Lüftung noch über jene der Jalousien wissen, denn nichts geht über die Fantasie der potenziellen Käuferinnen und Käufer. Ich muss es schaffen, ihr Gedankenkarusell auf volles Tempo zu kurbeln! Zwischen verrotteten Deckenbalken sollen sie schon die Kristalle des Kronleuchters glitzern sehen! Auf der noch nicht vorhandenen Dachterrasse schwelgen sie in der Vorstellung, wie sie mit Gästen, ihrem Schatzi oder allein ein Glas Rotwein trinken, einen Espresso oder einen Dom Pérignon. Ganz einerlei. Solange meine Haare gekämmt, meine italienischen Lederschuhe poliert sind und mein Anzug perfekt sitzt, kann ich weder groß etwas machen – noch muss ich es. Ich beobachte nur, und rege die Fantasiereise mit sachten Bemerkungen an. Es ist wie Magie. Plötzlich entsteigt dem grünlich veralgten Pool bei Minustemperaturen ein auf wundersame Weise verjüngter, braungebrannter und durchtrainierter potenzieller Hausbesitzer – während er dickbäuchig, kahlköpfig und mit ernstem Blick neben mir stehend nach der Stärke der Gegenstromanlage fragt.


Eine junge Unternehmensberaterin, deren Kochkünste sich im Erhitzen von Tiefkühlpizza in der Mikrowelle erschöpfen, sieht sich unter meiner fachkundigen Anleitung urplötzlich mit Hacke und Spaten im Garten graben, wie sie ihr eigenes Knollengemüse anbaut. Selbstverständlich mit pfirsichroten Gelnägeln und Föhnfrisur. Ja, so sind sie, so ist es und so wird es für immer bleiben. Als Immobilienmakler verkaufe ich keine Wohnungen oder Häuser – ich züchte Träume wie andere Tomaten oder Rennpferde.


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