
Ein großes Wogen aus Farben und Mustern, scheinbar unentwirrbar und dennoch glasklar strukturiert: Robert Reschkowskis enormes Werk Großes Raster (2023) trägt seinen Titel zu Recht. Moosgrün, Türkis, Blau, wenige orange und rote Tupfer, auch einiges an Lila, dieses Werk fängt die Betrachter voll und ganz. Hier wird nicht das Format gesprengt, nicht das einzelne Bildformat, sondern gesprengt wird die Vorstellung von Ganzheit und Identität. Während das aus sechsundfünfzig Teilen bestehende Gesamtwerk als Ganzes gültig ist, so vertritt doch auch jedes einzelne Bild Anspruch auf ein allein für sich funktionierendes Ganzes. Die Vorstellung einer abgeschlossenen Einheit wird gesprengt.
Jedes einzelne Werk trägt den Spirit des Werkprozesses in sich, der auch noch im Verkaufsprozess vom Künstler Robert Reschkowski vorausgesehen und sorgfältig inszeniert wird. Der Verkauf als eminent wichtiger Bestandteil des künstlerischen Schaffens wird zum Happening, zur Performance. In einer malerisch-spirituellen, merkantilen und subversiven Aktion werden die Sammler vom Künstler bei der Auswahl der Arbeiten angeleitet, er fordert sie dazu auf, sich ihr Werk auszusuchen. Der Künstler kreiert eine Marktsituation. Die Zuschauer und Sammler werden zu Akteuren, das Werk zur Bühne, das vielteilige Bildgefüge zu seinem eigenen Marktstand. Und so wie ein Werk verkauft wurde und mitgenommen wird, so tritt eine weiter Stelle des schwarzen Moltontuches auf dem Boden zu Tage. Bilder gehen, die Farben nehmen ab, das Schwarze wächst. Das Werk als Ganzes verändert sich, gleichzeitig nimmt etwas anderes, das Dunkle Raum ein. Leben ist Transformation. Das Werk bleibt über den gesamten Veränderungsprozess gültig und vollständig.
Jedes Ganze ist ein Teil
&
Jedes Teil ist ein
Ganzes
Robert Reschkowski arbeitet mit technisch und künstlerisch anspruchsvollen Harzen. Wie eine Lackschicht umschließen die Farbe die Leinwand. Es entstehen Assoziationen zu römischen und byzantinischen Mosaiken, denken wir nur an die prächtigen Mosaike in Ravenna. Dieser Eindruck entsteht zum einen durch das Liegen des Bildwerkes auf dem Boden und durch das geheimnisvolle Leuchten durch die besondere Lacktechnik.

Ausstellungsansicht: Robert Reschkowski, Einzelausstellung "Wu Wei-Dào – Großes Raster",
Galerie Ross, Düsseldorf im März 2024
Jedes der 23x23 cm großen Werke funktioniert für sich alleine. Und als Ganzes.
Auch aus einer gesellschaftlichen Perspektive ist dieses Paradox interessant, denn wir sind Individuen und Teil der Gesellschaft. Beides zugleich. Auch ohne die Gesellschaft sind wir vollwertige Wesen und die Gesellschaft funktioniert ihrerseits auch ohne uns. Dennoch ist das Ganze nichts ohne das Einzelne, den oder die Einzelne. Umgekehrt gilt das gleiche. Was uns zur Heiligkeit eines Werkes weiterleitet.
Der Künstler betrachtet seine Werke als Kontemplationsobjekt. Der Malprozess ist ein kontemplativer Prozess, ein Wechsel aus bewussten, planvollen und unbewussten, impulsiven Handlungen. Das fertige Werk muss genau so sein, wie es ist. Auf der Erde angekommen greift jeder nach ihm. Einer Reliquie gleich. Es wird zum Objekt der Verehrung und der Andacht. Eine Ikone. Zuhause, an der Wand des Sammlers, wird das Bild zu einer steten Kraftquelle für den Betrachter. Jeden Tag verströmt es ungebrochen die Energie, welche der Künstler im Schaffensprozess in das Werk hineingesteckt hat. Und darüber hinaus, schwer zu erklären.
Reschkowski reizt es, die Heiligkeit des Kunstwerkes ironisch zu brechen. Die Brüche interessieren ihn, denn er möchte keinem Identitätsdenken verfallen, sondern die Differenz betonen. Etwas aus dem gewohnten Umfeld herauszureissen bereitet Schmerzen. Alle wollen Veränderung, aber keiner möchte sich verändern. Reschkowski legt die Transformation, die Veränderung und den damit verbundenen Wachstumsschmerz in seinem Großen Raster planvoll an und macht sie zum fundamentalen Bestandteil seiner Kunst. Und wie um das Ganze noch einmal zu brechen können die Sammler ihre Werke bei kommenden Ausstellungen mitbringen und wieder hineinlegen. Die Kunst geht auf Wallfahrt und alle gewinnen dabei.
Sara Tröster Klemm
Leipzig 2024
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