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K.H. Stuffts Imaginary Painters Tour: KI als neues künstlerisches Medium

Autorenbild: Sara Tröster KlemmSara Tröster Klemm

Aktualisiert: 18. Okt. 2024



Die Kunstreise der Imaginary Painters Tour beginnt in New York und führt über Berlin, Hamburg, Amsterdam nach Paris, Düsseldorf und Peking. Weitere Städte in Europa wie u.a. Bregenz, Basel, London, Warschau, Moskau und Bologna stehen auf der Besuchsliste, aber selbst San Diego, Seattle, Tokyo und Kapstadt liegen für die vier hochmotivierten Kunstprofis verschiedener Sparten nicht zu weit entfernt. Tatsächlich führen sie ihre Reisen rund um den Globus. Aber was tun die Vier nun eigentlich auf ihren Reisen? Nun, sie besuchen ausgesuchte Malerinnen und Maler in ihren Ateliers oder auf ihren Ausstellungen, interviewen sie, fotografieren sie vor ihren Kunstwerken und dafür scheint ihnen kein Weg zu weit. Selbst eine Stadt wie Anchorage, die Hauptstadt Alaskas, und nicht gerade bekannt für einen florierenden Kunstbetrieb, gerät so ins Visier dieser vier emsigen Kunstliebhaber. Ihr einziges Objekt der Begierde vor Ort in Anchorage: Jack Caulfield, ein 45jähriger Maler, der sich nach seinem Kunststudium in LA schon lange einzig dem Malen von Kreuzen! verschrieben hat.


Die kunstbegeisterte Seele in uns, welche sich die Stationen und Werke der Imaginary Painters Tour zu Gemüte führt, kann nur staunen bei deren Betrachtung: was für geniale Kreationen da aktuell z.B. in Basel, Biel und Zürich entstehen! was für kreative Köpfe dort leben und arbeiten - wenngleich wir sie noch in keinen Galerien oder auf den großen Kunstmessen sahen. Erstaunlich auch, wie viele von ihnen sich von neueren oder älteren Meistern inspirieren lassen. Da sind u.a. Einflüsse aus der italienischen Renaissance oder der Malerei des Holländischen Goldenen Zeitalters festzustellen, so zum Beispiel im Raffael-Porträt aus der Reihe Jung verstorbene Künstlergenies der österreichischen Malerin Hannah Steiner. Die in Salzburg aufgewachsene Sechsunddreißigjährige zeigte sich schon vor und dann auch weiterhin während ihres Studiums an der Universität für angewandte Kunst in Wien fasziniert vom Wiener „Fantastischen Realismus“ und möchte seither diesen Stil in ihrer Arbeit auf eine „coolere“ Weise fortführen und entwickeln, so sagt sie. Ebenso verblüffend ist, wie zum Beispiel der Schweizer Künstler Albert Lüthi El Greco und Caravaggio in seinem Schaffen neuinterpretiert. Der Besuch des von Einheimischen passenderweise „Apostelmaler“ Genannten war für das Reiseteam mit erheblichem Aufwand und Ungewissheit verbunden, denn Lüthi sieht nicht nur wie ein uriger Bergbauer aus, sondern er lebt auch wie ein solcher im kleinen Linthal inmitten der Glarner Alpen ohne öffentliche Adresse oder Telefonnummer. Nach anstrengender Reise an einem heißen Sommertag und nachdem man sich zu ihm durchgefragt hatte, traf man ihn dann aber tatsächlich an und wurde nicht nur mit einem überraschend freundlichen Empfang und starken Eindrücken belohnt, sondern auch noch mit einem kühlen Bier erfrischt.


Die Künstlerbesuche und deren Dokumentation werden so selbst zur Kunst, zu einer kunstsatten Reiseperformance .... Voyages, Voyages! Von den Alpen bis Alaska, von Leipzig bis Los Angeles: Die Liste der besuchten Ziele, Künstlerinnen, Künstler und Ateliers mutet schier überwältigend an und das Engagement dieses Teams erscheint nahezu grenzwertig.


Zwei Dinge nun haben alle besuchten Kunstschaffenden gemeinsam, erstens: Sie alle malen - so unterschiedlich ihre Stile auch sein mögen, ob nun altmeisterlich, expressionistisch, fotorealistisch oder gestisch-abstrakt und sie alle sehen wir abgebildet vor ein, zwei oder drei ihrer Werke. Und zweitens: Sie und ihre Werke existieren nicht in der Realität. Es sind pure, coputergenerierte, digitale Kreationen, denen wir nur in diesem Projekt von K.H. Stufft begegnen und das ist die zweite Gemeinsamkeit.


Doch nicht nur die abgebildeten Kunstwerke und die davor posierenden Künstlerinnen und Künstler sind rein virtuell, phantasievoll erdacht und künstlich generiert, auch das kuratorische Team von „vier Kunstliebhabern oder auch Kunstkennern“, so der Begleittext, existiert nicht real – sowohl deren Biographien wie auch ihre Gesichter sind frei erfunden. Letztere basieren bildtechnisch auf denen realer Personen, deren Gesichtszüge jedoch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz so verändert wurden, dass die Referenzgesichter nicht mehr erkennbar sind. Das imaginierte Team nun besteht aus dem 38 Jahre alten Künstler Carl, einem Maler und seinem 42-jährigen Malerkollegen Luc. Sie arbeiten mit dem auf neuere und neueste Malerei spezialisierten Kunstwissenschaftler Robert zusammen, welcher mit 44 der Älteste ist, und der noch jungen, „aber schon vielerfahrene[n] Kuratorin, Eva, 32“. Im fiktiven Statement der Gruppe ist zu lesen, sie stimmten ihre individuellen Arbeitspläne „kontinuierlich so miteinander ab, dass sie möglichst häufig gemeinsame Reisen unternehmen können – Reisen, die dazu dienen, außergewöhnliche und beeindruckende Malerinnen und Maler auf der ganzen Welt zu treffen.“ Selbsterklärend finden natürlich auch die Reisen in Wirklichkeit nicht statt, ebensowenig wie die Besuche der real nicht existierenden Ateliers.


K.H. Stufft verlangt den Betrachterinnen und Betrachtern der in der Imaginary Painters Tour vorgestellten Verhältnisse, Personen und Werke ein gehöriges Maß an Reflexion ab, da sie einerseits fiktiv sind, dabei aber gleichzeitig glaubwürdig und real wirken. Ihre Künstlichkeit wird im begleitenden Text ganz offen kommuniziert, wenn das Team über sich selbst „schreibt“: „(...) es kommt noch verblüffender, denn: wir alle – sowohl das Team als auch die besuchten Künstlerinnen und Künstler, so real sie auch in Bild und Wort erscheinen mögen und ebenso deren zu bestaunende Kunstwerke – sind gänzlich fiktiv, ein Produkt menschlicher und künstlicher Intelligenz und Kreativität und mehr noch ein Produkt der Begeisterung für die Kunst und die Malerei im besonderen.“


Die Imaginary Painters Tour zeichnet sich in der Tat durch eine komplexe Aneinanderreihung kreativer Schritte aus, die, miteinander kombiniert, nichts geringeres als ein neues Genre ergeben. Man könnte es als die Erfindung des fiktiven Dokumentarismus bezeichnen, weil schlicht jeder einzelne Aspekt eines in Augenschein genommenen Werkes zum einen real, stichhaltig und informativ wirkt und zum anderen frei erfunden, schöpferisch und dazu noch unterhaltsam nachzuvollziehen ist. Jedes Tableau wird von einem munteren Mix aus fachlich/sozialem Diskurs begleitet, wobei Stufft generell eine joviale und teilnahmsvolle Atmosphäre schafft, in welcher die Künstlerinnen und Künstler als Menschen mit ihrer Lebenswelt ins Gespräch gebracht werden. Die Kreation der fiktiven Künstlerbesuche folgt einem durchgängigen Muster. Zunächst gestaltet Stufft die Bilder-im-Bild – manchmal ist es nur ein Bild, manchmal sind es zwei oder drei. Dabei geht er häufig von einem Referenzbild aus, welches durch einen AI-Bildgenerator reimaginiert wird. Teils greift er bei diesem Schritt aber auch auf Bilder zurück, welche er selbst vor Zeiten analog gemalt hat. Das fertige Bild setzt sich schlußendlich aus verschiedenen Quellen zusammen. Wie beim Bild-im-Bild benötigt der Künstler auch ein Referenzbild für den erdachten Künstler, ein Bild, welches die von ihm gewünschten Charakterzüge trägt. Die vielen verschiedenen Typen, welchen wir auf der Tour begegnen, basieren nun, wie schon bemerkt, auf Fotos von realen Menschen, welche durch die maschinelle Umwandlung zu jemand anderem werden. Genau dieser Vorgang erzeugt ihr im Endeffekt so realistisch wirkendes Erscheinungsbild - gleichsam wie unberührt von der Tatsache, dass die Künstlerinnen und Künstler, die hier zu sehen sind und die in den Begleittexten vernehmlichst zu Wort kommen, gar nicht existieren. In kunsthistorischer Hinsicht sehe ich dieses Projekt in enger Verbindung zu Thomas Struths Museum Photographs und zu den Museumsbildern von Tim Eitel.


K.H. Stufft sieht seine künstlerische Arbeit insgesamt - das vorliegende Projekt mit einschließend und zugleich übersteigend - als "Schaffung eines Bilderreigens ohne Ende an, eines Bilderozeans, eines Bilderkosmos, der sich ohne Ende von Bild zu Bild, von Serie zu Serie spontan weiter generiert, Chaos und verborgenen Sinn vor Augen … bis zum physischen Abdanken meinerseits“. Wie sich in diesem Zitat ausdrückt, ist die Kreation, um nicht zu sagen die exzessive Genese von immer neuen, KI-unterstützten oder auch ohne KI digital kreierten Bildern Stuffts Motor, welcher ihn antreibt, beflügelt und mit welchem er es vermag, selbst tiefste menschliche Erfahrungen in Bildern zu vermitteln. Nach Reihen wie den Mirror Images und dem aufgegebenen Projekt A Visit to an Imaginary Museum folgen aktuell in schneller zeitlicher Folge die Reihe Love is Strange und die quasi als Infinito konzipierte Reihe Bildermaschine / Deviant Spheres, in welcher er neben permanenten Neukreationen auch in vergangenen Phasen erstelltes Bildmaterial selektiv weiter verwertet.


Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz wirken auf nicht wenige Bildkünstler wie auch auf Kritiker und Kunstwissenschaftler als Bedrohung. Kunstwissenschaftlich ist das Thema aufgrund seiner extrem kurzen Geschichte – so richtig wurde es eigentlich erst Anfang 2023 aktuell – noch kaum fassbar. In seinem 2022 erschienenen Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen setzte sich der Kunsthistoriker und Journalist Niklas Maak mit den Voraussetzungen, Bedingungen und Auswirkungen der Serverarchitektur, also einem im Alltag quasi nicht wahrnehmbaren, jedoch essenziellen Teil der digitalen Welt und damit der KI auseinander. Wie heiß das Thema rund um die künstliche Intelligenz ist, beweisen Aktienrallys von Chipherstellern wie Nvidia. Umso dringlicher bedürfen nun die aufkeimenden Fragen zu künstlich generierten Kunstwerken der kunst- und bildwissenschaftlichen Forschung: Wird es noch Fotografen und Autoren brauchen, wenn die KI in Sekundenschnelle Texte verfasst und Bilder generiert, auf denen die gewünschte Person in der maledivischen Hängematte chillt oder perfekt gestylt in einem Bewerbungsfoto erscheint, ohne das eine oder das andere tatsächlich gemacht zu haben?


Imaginary Painters Tour 29 (New York, Nat (Nathaniel) Brown, 34 - Auf Nat kamen wir durch Gespräche in Szenelokalen, in denen häufig sein Name fiel. In einem dieser Lokale trafen wir dann auch zufällig seine Schwester Sarah, die auf unsere Bitte hin noch vor Ort per Handy einen Besuch von uns am nächsten Tag in seinem Studio klarmachte. Nat empfing uns dann freundlich, mit der Bemerkung, er ließe sich nur noch wenig in der Szene sehen, seit er in seiner Malerei, so seit einem Jahr "richtig Blut gerochen" habe. Er sei auch sowieso nicht der Typ, wie etwa Francis Bacon, der in seine Stammkneipe gerannt, da herumschäkerte und sich habe feiern lassen - aber für so verrückt wie Bacon hielte er sich mindestens. Und diese Verrücktheit lebt er komplett radikal, wie schnell deutlich wurde, in seiner Kunst aus. Anschließend nämlich, während wir uns in seinem riesigen Loft ergingen und uns die vielen meterhohen brutal abstrakten Bilder mit ihrer auffällig gleichbleibenden Farbskala betrachteten, war er weiteren Gesprächen praktisch nicht mehr zugänglich. Er arbeitete konzentriert - und das garnicht mal an einer der hoch aufragenden Leinwände, sondern an irgendwelchen Dingen oder Prozessen auf dem Boden. Unsere Frage, um was es dabei ginge, schien er garnicht zu hören. Dann schließlich doch noch ein kurzer, freundlicher Blick zum Abschied.)


Die Angst vor dem Ende eines künstlerischen Mediums ist dabei alles andere als neu. Bereits die Erfindung der Fotografie sorgte seinerzeit für Bauchschmerzen und graue Haare bei konservativen Künstlerinnen und Künstlern oder wurde als technische Spielerei ohne Zukunft milde belächelt. In den 1990er Jahren wirbelte die Fotografie die Malerei nur einmal mehr auf. Sie sorgte unter den Pigment- und Ölmischern für Unruhe, denn diese Zeit glich, wie ich in meiner Dissertation über Tim Eitel schreibe, „einem Siegeszug der Fotografie. Andreas Gursky war einer der teuersten Künstler. Die Malerei schien zunehmend irrelevant, ein Medium unter vielen.“ Es ist nur folgerichtig, dass nach den Klageliedern vom Tod der Malerei, vermeintlich bedroht durch die Fotografie, sich nun ihrerseits die Fotografie die Frage nach ihrer Relevanz gefallen lassen muss. Heute dehnt sich der Radius noch deutlich weiter aus, denn jeder Kreative und Kunstschaffende muss sich fragen, was sein Schaffen von der Sprengkraft der Software abhebt und unterscheidet, und auch, ob und wie er es für sich als neues Land entdecken und erobern will und wie er es urbar zu machen vermag. K.H. Stufft macht vor, wie es geht. In seiner Reihe An Imaginary Painters Tour nutzt er die neusten technischen Mittel als Chance mit enormem Potential. Er beweist, was Künstler, wenn sie die Bildgeneratoren nicht als fragwürdig oder als Bedrohung, sondern als künstlerisches Instrument betrachten und kreativ einsetzen, für herausragende Ergebnisse erzielen können. Virtuos und mit überschäumender gestalterischer Energie, die einen manchmal wie eine riesige Welle am Meeresstrand begeistert, überrascht und überrollt, spielt er mit der KI, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Seine Arbeit, wie sie uns in der Imaginary Painters Tour vor Augen steht, betrachtet Stufft selber nicht zuletzt als eine „Demonstration des kreativen Potenzials von KI“. Dem kann ich mich nur anschließen.


Dr. Sara Tröster Klemm

Leipzig 2024

 
 
 

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